DER ASSISTENZHUND KELLY ZIEHT EIN
Es ist sehr früh am Morgen im Land hinter der Regenbogenbrücke, nahezu alle Tiere und Menschen schlafen noch, selig eingemuckelt in ihre schönen Wolken und mit den Liebsten in der Nähe. Auf Wolke 4711 allerdings gähnt Susi herzerweichend und stupst Chris mit ihren Hinterpfötchen in den Bauch. „Schaaatz, ich hab‘ so Durst, und Hunger, die Babys wollten viermal trinken diese Nacht, ich habe keine Kraft, aufzustehen.“ Der eher als faul bekannte Flops, Ihr würdet ihn nicht wiedererkennen, sprang sofort auf seine vier Pfoten, schmuste seine Susi und leckte die Babys ab, mit Glanz in den Augen. „Ach Susilein, ich eile, willst Du Wasser aus der Chris-Umgetopft-Tasse, Würstchen vom Baum oder geschnetzeltes Fleisch von der Oma, das diese ja freundlicherweise Weise auf Vorrat zubereitet hatte, worauf hast Du Lust?” . Susi bestellte ihr Frühstück, schnorchelte noch ein wenig vor sich hin und nahm dann eilig das liebevoll zubereitete Essen im Liegen zu sich.
Natürlich kümmerte sich Chris in den nächsten drei Stunden liebevoll um seine drei Söhnchen und Töchterchen, ließ sie auf sich rumkrabbeln, in seine Ohren beißen und sich in sein Fell einkuscheln.
Auf einmal erschien Besuch auf der Terrasse. Der kleine Parson-Jack-Russel-Terrier Jakko, der schon vor langer Zeit im Regenbogenland gelandet war und immerzu was erleben wollte, Mäuse buddeln (war hier leider nicht erlaubt), Schwimmen, Fußball spielen und mit Hundekumpels, besonders seinem besten Freund Alano, einem Labrador-Mix, durch die Gegend toben, stand verunsichert auf der Terrasse von Wolke 4711. „Sagt mal“, meinte er, „Ihr kennt Euch doch hier so gut aus, ich muss zur Rezeption, bin angesimst worden, da wird doch nicht meine Mama kommen???“ „Nein“, antwortete Chris bestimmt, „in diesem Fall hätten sich Deine Pfötchen auch mitten in der Nacht selbstständig gemacht, um zur Dobermanndame (oder zu Cora, die neuerdings manchmal die Nachtwache übernahm) zu gelangen.”
Susi, die mittlerweile gerade aus den Äuglein gucken konnte, meinte „Ach Jakko, ich würde Dich gerne begleiten, aber ich kann ja meine Mäuschen nicht allein lassen.”
In diesem Moment hörten die drei draußen vor der Wolke ein fröhliches Schwatzen und einen Ruf. „Suuusi, Fledermops, kommt doch mal vor die Tüüüre!“
„Häh“, wunderte sich Chris, „was ist denn jetzt los?”. Vor der Tür standen Herrchen und Onkel Helmut mit einem wunderschönen selbstgezimmerten Bollerwagen, ausgekleidet mit Kissen und Deckchen, von der Oma höchstpersönlich in Patchwork-Technik genäht, und erzählten, dass das ihr Menschengeschenk für die glückliche Flopsfamilie sei. Chris war gerührt, Susi fing sofort an zu flennen, und Jakko schaute nur erstaunt.
Onkel Helmut grinste. „Auf auf, Herr Fledermops, hier vorne ist auch ein Geschirr, dass Du Dir umschnallen kannst, um Deine Rasselbande auf einen Spaziergang durchs Regenbogenland zu ziehen. Das hat Herrchen gebastelt, ich war eher für die Schreinerarbeiten zuständig.“ Na, das ließ sich Chris aber nicht zweimal sagen, er fragte Susi und Jakko „Was meint Ihr, sollen wir mal zusammen lostapern? Dann geht es Jakko auch sicher ein bissel besser, vor den Herrschaften in der Rezeption haben wir ja alle Respekt.“
Susi war begeistert, dass sie endlich mal vor die Türe kam, und Jakko, der nie so gern alleine geblieben war, war erleichtert. Früher durfte er ja nicht in den Wald, noch nicht mal Kaninchen jagen, und er hatte auf sein Frauchen gehört wie eine Eins. Nur, wenn die Studenten nebenan Fußball spielten, war es um ihn geschehen, da ging nix mehr, bis er ein Tor geschossen hatte.
So packten die Großen die sechs winzigen Welpen in den Bollerwagen und marschierten in den schönen Sonnenaufgang hinein. Mittlerweile waren natürlich doch einige Bewohner hierzulande schon wach, der Weg dauerte lange, denn alle paar Minuten kam jemand an den Bollerwagen und seufzte entzückt, sogar die Katzen, wie die Königin Kira (die hatte hier schnell alle klar gemacht und gerade noch Leo als Stellvertreter auserkoren, was dieser grummelnd zur Kenntnis nahm, aber dennoch erfüllte).
Auch Robby und Lara kamen dem Trupp entgegen, Lara kitzelte die Bäuchlein der Babys und Robby – schmuste sie von oben bis unten ab und lächelte seine Lara verklärt an… Diese raunte in sehr leisem gefährlichen Ton „Vergiss es, ICH will keine Welpen, ich bin lieber Tante und rolle fröhlich und ohne Verantwortung im Regenbogenland herum. Ich habe ja noch nicht mal einen Job, muss ja hier auch keiner, also schleich‘ Dich!“ Robby schaute betreten, aber nun ja, das musste er ja wohl akzeptieren. „Gut, dann will ich aber Patenonkel von den Mäusen werden.“ wehrte er sich ein wenig. Lara gab ihm ein Küsschen. „Aber sicher, ich werde auch Patentante, wir werden die Besten sein!“
Jakko schmunzelte, das Geplänkel gefiel ihm. Er war ja leider schon recht früh erkrankt, hatte zwar noch einige Jahre durchgehalten bei seiner herzensguten Mama, aber kriegte am Ende die gleiche schlimme Erkrankung wie Labrador Merlin und Onkel Helmut, *ichvergesseallesunderkenneniemandenmehr wieder*, so stand er eines Tages vor der Regenbogenbrücke und war letztendlich froh, weil so viele schöne Erinnerungen wieder hervorkamen.
Nun kam die Gemeinschaft an der Rezeption an, die Dobermanndame hatte die clevere Cora als Nachtschicht eingeteilt, die den kleinen Jakko sensibel in Empfang nahm. „Komm’ mal her, mein Schätzchen, Du hast hier einen ganz besonderen Gast in Empfang zu nehmen.“ Sie führte ihn zu dem Monitor, Jakko hatte kurz Angst, doch seine Mama sehen zu müssen, aber es kam eine wunderschöne schwarze Hündin mit weißer Blesse am Hals, irgendwas mit Labrador und noch was anderem, in sein Blickfeld, die ihn mit sehr traurigen Äuglein ansah. Vorsichtig tapste die Hündin aus dem Monitor ihm entgegen, sehr vorsichtig, „Wer bist Du? Warum bin ich hier?“
Cora half aus. „Liebe Kelly, hier ins Regenbogenland kommen Tiere, die zu krank waren, um auf Erden zu bleiben, Jakko wird Dir alles Weitere erklären. Lieber Jakko, Ihr beide hattet dieselbe Mama, die schöne Kelly kam drei Jahre nach Deinem Einzug hier in Euer gemeinsames Zuhause, sooo lange hatte die Mama um Dich getrauert. Sie kam aus einem Tierheim, nicht als Baby, und Eure Mama wusste sogleich, das ist sie, meine nächste Begleiterin mit vier Pfoten, ohne geht es einfach nicht. Natürlich bist Du bis heute in Ihrem Herzen.“
Jakko schaute Kelly an, ihm wurde warm ums Herz, und er rannte ganz schnell zu ihr hin und schmiegte sich an sie. „Hach, liebe Kelly, ich verspüre gleich eine tiefe Verbindung zu Dir, Du bist groß und schwarz, ich bin klein und weiß, das ist hier im Regenbogenland sowieso egal (auf Erden leider nicht immer), ich heiße Dich herzlich Willkommen.“ Kelly schniefte „Ich bin so traurig, aber es ging ja nicht mehr, nun, ich gehe mal mit Dir mit.“
Cora erklärte noch schnell die wichtigsten Regularien im Regenbogenland, und natürlich begleitete Jakko seine neue Freundin zu dem Automaten und ließ sie eine Münze einwerfen, damit ihre Mama irgendwann zu ihnen auf die Wolke 2519 finden konnte. Zeit spielte ja keine Rolle.
Vor der Rezeption warteten Chris, Susi, die Babys, Robby, Lara und mittlerweile noch viele mehr Bewohner des Regenbogenlandes auf die beiden Freunde, die nun wieder im Sonnenlicht standen. „Äh, nun“, meinte Jakko, „das ist Kelly, ich stelle sie Euch die Tage mal näher vor, aber jetzt, entschuldigt mich, ich will alles wissen, was seit meinem Auszug auf Erden passiert ist, wir gehen schon mal vor.“ Flüsternd marschierte er mit Kelly vorneweg. Diese meinte allerdings schon bald „Du Jakko, ich hab‘ so Hunger…“ Jakko musste lächeln. „Das ist hier das geringste Problem, schau, dort ist ein Würstchenbaum, dort gibt es sogar Forellenfrikadellen, bediene Dich einfach.“ Kelly fraß, als hätte sie seit Tagen kein Futter bekommen, und meinte „Nun gut, lass mich Dir erzählen, wie es unten auf Erden weitergegangen ist.“
„Ach lieber Jakko“, sagte Kelly, „in meinem Herzen weiß ich, dass ich Dir herzliche unvergessene Grüße von unserer Mama senden soll. Ich wollte auch nie allein bleiben, mochte schon gar keine Männer, hatte mein Gepäck aus dem Tierheim dabei. Ich durfte ja leider nicht als Baby ein Für-Immer-Zuhause finden, sondern erst mit fünf Jahren. Aber ich durfte mit zur Arbeit!“ Kelly lächelte stolz. Auf einmal kreuzte eine Kaninchenmama mit fünf Babys den Weg der beiden, Jakko wollte losstürmen, doch Kelly rief „Halt!“ Jakko schaute etwas konsterniert, wartete aber, bis die Babys mit ihrer Mama in ihre sichere Wolke geschlüpft waren.
Kelly erklärte „Ich habe unsere Mama immer gefragt, ob ich was durfte, wenn nicht, dann halt nicht. Und ob Du es glaubst oder nicht, daher durfte ich so eine besondere Ausbildung genießen, ich, der vergessene Tierheimhund, Teamschein, Besuchshundeausbildung, Antigiftködertraining, Assistenzhundeausbildung und vieles mehr. Ich ging mit der Mama ins Altenheim und zeigte Tricks wie Sieger auf dem Hocker, Kästchen aufmachen, Futtersuchspiele, Leckerlis von einer Leine pflücken, die die Senioren dort unter Mühen aufgefädelt haben. Die Prüfung zum Besuchshund machte ich in einer Kindergruppe, in mir ist ja wohl auch ein Hütehund mit drin. Am Ende durfte ich mich Assistenzhund nennen, und weißt Du was? Unsere Mama litt schon mal an zu wenig Zucker im Blut, ich konnte das riechen und habe ihr Bescheid gesagt.“
Jakko war sehr beeindruckt und zeigte nach links. „Hier, Kelly, ist unsere Wiese der Erinnerung, lass uns mal ein wenig Halt machen, das macht mich jetzt echt betroffen.“ Die beiden Hunde kauerten sich ins Gras, bewunderten die weichen Wolken und schönen Blumen um sich herum, und mussten erstmal verarbeiten, was sie sich gerade so alles mitgeteilt hatten. Jakko blickte unauffällig nach hinten, eine ganze Prozession aus dem Regenbogenland, bestimmt hundert oder mehr Bewohner, hielten still und warteten, dass die zwei Freunde weitergehen würden.
„So“, meinte Kelly nach einer Weile, „ich bin jetzt echt müde, sind wir bald auf der Wolke? Ich bin gegen Ende so schlimm krank geworden, so ein %&$§ namens Lupus hatte mich gepackt, es war ganz schlimm, die Mama war auch doll krank wegen eines anderen &%$§-Virus, dann kam meine Tierganzmachfrau und hat mich im Kofferraum erlöst, Mama hat so doll geweint *schnief*! Aber sie war bis zur letzten Sekunde bei mir, es geht ihr wieder besser, gesundheitlich, jetzt ist sie leider ohne mich und Dich.“
„Okay“, meinte Jakko, „ich zeige Dir noch was ganz Schönes, wir wohnen neben dem zauberhaften Meer… „WAS“, schrie Kelly, „WASSER???“ „Ej, alles gut“, meinte Jakko, „damit wirst Du Dich auch noch anfreunden, versprochen.“ Sie gelangten an Wolke 2519 an, winkten erschöpft und gerührt ihren stummen Begleitern zu (die Babys von Susi und Chris schliefen schon lange), betraten ihr Zuhause, sahen, dass auch noch genug Platz für ihre Mama irgendwann da sein würde, schwatzen noch eine Weile und versanken in einen tiefen wohlverdienten Schlaf.
Und so ging wieder ein Tag im Regenbogenland zu Ende, der geprägt war von Freundschaft, Familien, Erinnerungen, Magie und Liebe.
Eine Antwort
Ach lieber Jakko, liebe Kelly,
ich bin hier voll am Weinen bei der Regenbogenlandgeschichte, obwohl ich sie selbst geschrieben habe, verrückt, oder? Ich glaube, bei der nächsten bestellten Geschichte baue ich euch wieder ein…